Einführungsreferat am 15. April 2003 anlässlich der Eröffnung der Ausstellung im Überlacker-Häusl, Preysingstraße 58, von Johann Baier.
Über den Wiener Platz verlief die alte Burgfriedensgrenze der Stadt München zwischen dem seit Jahrhunderten städtischen Gasteig einerseits und der bis 1854 selbständigen Gemeinde Haidhausen andererseits. Diese Grenze verlief an der Südwestseite der heutigen Grütznerstraße und des Wiener Platzes über den Preysingplatz zur Steinstraße und zum heutigen Rosenheimer Platz, der früher
"Auf den Lüften" hieß.
Die Haidhauser Seite des Wiener Platzes war um 1800 bebaut mit Herbergsanwesen. Selbst auf dem Platz war eine große Herberge, in der eine Reihe von Handwerkern und Kaufleuten ihrer Arbeit nachging. Der Abbruch dieses Gebäudekomplexes erfolgte 1899, als man begonnen hatte, am Wiener Platz stattliche Mietshäuser im Stile des Neubarock und der Neurenaissance zu errichten. Unmittelbar an der Südwestseite des Wiener Platzes begann das Gelände der Bierkeller. Um 1860 gab es auf dem städtischen Gasteig nicht weniger als 64 Bierkeller (von 18 Brauereien) bis hinüber zur Rosenheimer Straße und zur Steinstraße. Es wurde schließlich auch das Gebiet der Mälzereien, Sudkessel und riesigen Restaurationsbetriebe (Münchner-Kindl-Keller, Bürgerbräukeller, Hofbräukeller usw).
Ursprünglich war die Bezeichnung "Gasteig" nur für den steilen Anstieg (gacher Steig) von der Isarbrücke hinauf auf die Anhöhe zur Gasteigkirche St. Nicolai gedacht, also ein Straßenname. Man übertrug aber dann den Begriff auf das gesamte Gelände zwischen Wiener Platz, Preysingplatz und Rosenheimer Platz.
Der Gasteig als Gelände hatte mehrere wichtige Funktionen im Laufe der Jahrhunderte übernommen:
1.) Bei St. Nicolai befand sich das Leprosenhaus; später nannte man es das Sondersiechenhaus, wo Personen mit ansteckenden Krankheiten aus der Stadt verwiesen wurden zum Schutz der übrigen Münchner Bevölkerung.
2.) Der Gasteig war das Gebiet, das die Stadt München und seine Residenz mit frischem Wasser aus den Hangquellen des Isarsteilufers versorgte (bis 1883, dann kam das Wasser im freien Gefälle vom Mangfalltal beim Taubenberg nach München). Noch heute tritt das Wasser an der Grenze zwischen dem wasserundurchlässigen Flinz und dem darüberliegenden Isarschotter auf halber Höhe des Hanges hervor. Bei einem Bummel vom Müllerschen Volksbad zum Maximilianeum kann man dies leicht erkennen.
3.) Im Laufe des 18. und 19. Jahrhunderts benötigten die Münchner Brauereien neue größere Bierkeller, um ihr Hopfengetränk kühl lagern zu können. Die hochgelegenen Schotterterrassen auf dem Gasteig waren dafür bestens geeignet. Zur Beschattung der tiefliegenden Keller pflanzte man Kastanienbäume oder errichtete gewaltige Lagerhallen. Ende des 19. Jahrhunderts folgten dann die berühmten "Biertempel", die mehrere tausend Personen fassen konnten.
4.) Der Gasteig wies auch militärisches Gelände auf: Auf dem Militärholzgarten lagerten riesige Mengen Brennholz für die Kaserne auf der Kohleninsel, dem heutigen Standort des Deutschen Museums (vgl. die Bezeichnung "Holzhofstraße" beim Preysingplatz).
5.) Ferner diente das Gasteiggelände zur Sicherung der Isarbrücken. Der Übergang über die "isara rapidus", die reißende Isar, war an der Stelle der Isarinseln am günstigsten (vgl. die späteren Maximiliansbrücken).
Der Straßenzug zwischen St. Nicolai und dem Wiener Platz hieß sehr lange nur "Wiener Straße". Die Bezeichnung "Innere Wiener Straße" ist in den Stadtplänen kurz vor 1900 erstmals zu finden. Der heutige Wiener Platz wurde 1856, also zwei Jahre nach der Eingemeindung Haidhausens nach München, erst einmal "Am Platz" genannt; vorher war er im Volksmund das "Platzl" (vgl. Innenstadt beim Hofbräuhaus). Die "Äußere Wiener Straße", die "Am Platz" begann und so seit 1856 bezeichnet wurde, nannte man früher nur "Straße nach Wien", "Straße nach Mühldorf" usw. Übrigens erhielt Haidhausen erstmals offizielle Straßennamen im Jahre 1856, also zwei Jahre nach der Eingemeindung.
Als 1905 der "Max-Weber-Platz" seinen Namen erhielt, begann die "Äußere Wiener Straße" immer noch am Wiener Platz. Erst mit der Überbauung des ehemaligen Brauereigeländes auf dem Gasteig mit stattlichen Mietshäusern wurde aus der "Wiener Straße" die "Innere Wiener Straße". Erst seit 1956 wird diese Straßenbezeichnung bis zum Max-Weber-Platz weitergeführt. Aus der einstigen "Äußeren Wiener Straße", die ihren Anfang auf Haidhauser Gebiet, also am Wiener Platz, genommen hatte, wurde dann die "Einsteinstraße"; gleichzeitig wurde aus der "Äußeren Maximilianstraße" die "Max-Planck-Straße".
Am Wiener Platz treffen fünf Gestaltungselemente zusammen:
1.) alte Brauereigebäude (auf dem frühen städtischen Gasteig) in langer Tradition auf der Südseite des Platzes
2.) alte Herbergsanwesen aus der Zeit um 1800 auf der Nordseite (siehe auch die Kreppe = Quellmulde)
3.) stattliche Mietshäuser aus der Zeit um 1877 an der Sckellstraße und seit 1893, vor allem aber seit 1900 an der Inneren Wiener Straße. Sie beanspruchten oft die Fläche zweier abgebrochener Herbergsanwesen, weshalb manche Hausnummer heute nicht mehr existiert (Beispiele: Steinstraße 2, 4 und 6).
4.) Grünanlagen (Maximiliansanlagen), die von Hofgartendirektor Karl von Effner zwischen 1857 und 1861 auf dem kahlen Isarhochufer angelegt wurden. Der ehemalige Ripfelanger mit dem Maximilianeum kommt bis an den Wiener Platz heran.
5.) Zwei Bauwerke dominieren nahe dem Wiener Platz: der Bürklein-Bau des Maximilianeums (Grundsteinlegung 1857, Fertigstellung 1874) sowie die neugotische Pfarrkirche St. Johann Baptist von M. Berger (1852 –1874). Die Maximilianstraße sollte nach den Planungsunterlagen aus der Mitte des 19. Jahrhunderts sogar einmal vor der Kirche am Johannisplatz enden. Man entschied sich aber dann doch (glücklicherweise) für das Maximilianeum als Ziel, denn sonst gäbe es heute keine Kreppe und wohl auch keinen Wiener Platz in der heutigen Form mehr.
Als der Haidhauser Bahnhof vom Architekten des Maximilianeums, Bürklein, nach zweijähriger Bauzeit 1871 eröffnet wurde, war das Gelände zwischen den Bahnanlagen im Osten, der Rosenheimer Straße im Süden, der Milch- und Steinstraße im Westen und der Preysingstraße im Norden noch unbebaute Flur ("Auf den Lüften") – Damals entwarf Arnold von Zenetti 1870 einen typisch gründerzeitlichen Stadterweiterungsplan für die "Straßenzüge zum Braunauer Bahnhof". Der halbrunde Orleansplatz bildet die Basis für die symmetrisch konzipierte Dreistrahlanlage des "Franzosenviertels" mit der Wörthstraße als Mittelachse sowie der Weißenburger Straße und Belfortstraße als Diagonalen.
Als 1872 die ersten Straßen in den Wiesen angelegt wurden, benannte man sie nach Orten siegreicher Schlachten im deutsch-französischen Krieg (1870/71). Bebaut wurde das Gelände von der Rosenheimer Straße her in Richtung Norden zwischen 1870 und 1900 meist im Stil der Neurenaissance (80er Jahre) und des Neubarock (90er Jahre).
Durch die enge Bebauung für die ärmere Bevölkerung war um 1900 eines der dichtest besiedelten Gebiete der einstigen Residenzstadt entstanden, das heute einen für München ungewöhnlich hohen Anteil (zwei Drittel) älterer Bausubstanz aus der Zeit vor 1914 aufweist.
Verfasser: Johann Baier, Vorsitzender der "Freunde Haidhausens"
Das erste, nennen wir es ebenfalls „Franzosenviertel“, entstand auf Initiative König Ludwig I. im Jahr 1826 in der Max-Vorstadt, das an die Befreiungskriege von der napoleonischen Herrschaft erinnern sollte. Es beschränkte sich aber nur auf die drei Straßenzüge Arcisstraße (Arcis-sur-Aube), Barerstraße (Bar-sur-Aube) und Briennerstraße (Brienne-le-Château); Ortsnamen von Schlachten, an denen siegreich bayerische Truppen teilgenommen hatten.
Der rasante Fortschritt des Eisenbahnbaus in Bayern und die 1868 erfolgte Planung der Ostbahngesellschaft sollte für eine deutliche Verbesserung der Verbindungen von München nach Wien über Simbach am Inn und Braunau sowie über Rosenheim und Salzburg sorgen und erforderte somit den Bau des Ostbahnhofs. Das zwischen Haidhausen und dem Ostbahnhof gelegene unbebaute Gebiet („Auf den Lüften“) erwarb der Hofbankier Carl von Eichthal, Mitbegründer und wesentlicher Teilhaber der Bayerischen Ostbahn AG, der das Gelände parzellieren ließ und als Bauland verkaufen wollte. Es war nach dem Gärtnerplatzviertel die zweite große Stadterweiterung für Mietshäuser unter dem Namen Ostbahnhofviertel.
Der Ostbahnhof damals noch „Braunauer Bahnhof“ genannt wurde 1871 fertiggestellt. Architekt war Friedrich von Bürklein, der mit dem Münchener Hauptbahnhof und weiteren Bahnhofsbauten in Bayern entsprechende Erfahrungen besaß. Der Bahnhof, ein repräsentatives Bauwerk der Neorenaissance mit Gusseisensäulen und einem Empfangssaal im Innern, Rundbögen am Eingang und einem prächtigen Brunnen auf dem Vorplatz, der inzwischen auf dem Weißenburger Platz steht, entsprach den Bauten der Gründerzeit, wurde aber leider im 2. Weltkrieg stark zerstört und später durch einen schmucklosen Neubau ersetzt.
Für die städtebauliche Planung des noch unbebauten Geländes zwischen der Rosenheimer Straße, Haidhausen und dem „Braunauer Bahnhof“ wurde 1870 der Architekt und Stadtbaurat Arnold von Zenetti beauftragt. Die Straßen und Plätze (Baubeginn ab 1872) sollten die Namen der Schlachtenorte tragen, an denen bayerische Truppen im Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71 wenige Jahre zuvor siegreich (allerdings mit sehr hohen Verlusten) beteiligt waren, ähnlich den drei Straßenzügen in der Max-Vorstadt (siehe oben). Im Volksmund bürgerte sich daher schnell die auch heute noch gebräuchliche Bezeichnung „Franzosenviertel“ ein.
Das Straßensystem bildete zunächst ein Rechteckraster mit der Besonderheit, dass der halbrunde Orleansplatz vor dem Ostbahnhof zusätzlich die Basis für eine symmetrisch angelegte Dreistrahlanlage erhielt. Die Wörthstraße war die Mittelachse, die Weißenburger Straße und die Belfortstraße bildeten die Diagonalen. Dadurch entstanden Wohnviertel, die entweder drei- oder rechteckig waren. Beide Diagonalen sollten dann jeweils einen quadratischen und einen runden Platz erhalten, so geschehen in der Weißenburger Straße mit dem Pariser Platz (quadratisch) und dem Weißenburger Platz (rund). In der Belfortstraße hingegen stehen lediglich die Rudimente des unvollendeten (als quadratisch vorgesehenen) „Straßburger Platzes“ (Ecke Breisacher Str.), der daher nicht einmal seinen Namen bekommen durfte. Ein runder Platz als Pendant zum Weißenburger Platz weiter unterhalb fehlt völlig.
Grund hierfür waren die aus Angers an der Loire stammenden Ordensschwestern der „Sœurs du Bon Pasteur“, die von König Ludwig I. nach Haidhausen geholt wurden, um in diesem sozialen Brennpunkt insbesondere ledige Mütter und deren Kinder zu versorgen, Der Orden war seit 1840 im Preysingschloss und im Haidenauschloss mit einem umfangreichen Grundbesitz ansässig, der bis zum Straßburger Platz weit in das Planungsgebiet des Franzosenviertels hineinragte. Trotz wiederholter Angebote verweigerten die Nonnen den Verkauf des erforderlichen Teils Ihres Geländes zur Herstellung der Symmetrie mit dem Argument, dass sie das Gelände für ihre soziale Arbeit mit den Frauen und Mädchen vordringlich benötigten. Ohnehin wäre der Straßenbau ein tiefgreifender Eingriff in das Eigentum des Ordens gewesen. Selbst die Vermittlung des Erzbischofs von München und Freising Gregor von Scherr half nichts.
Die Bebauung des Areals erfolgte zwischen 1870 und 1900 von der Rosenheimer Straße ausgehend in nördlicher Richtung überwiegend im Stil des Historismus, insbesondere der Neurenaissance der 1880er Jahre bzw. des Neubarock der 1890er Jahre und vereinzelt im Jugendstil. Um günstigen Wohnraum für die ärmere Bevölkerung bereitzustellen, wurden die Häuser und Wohnungen eng bebaut. So entstand um 1900 eines der am dichtesten besiedelten Gebiete Münchens, das heute über einen besonders hohen Anteil (66 %) an älterer Bausubstanz (vor 1914) verfügt. Erstaunlicherweise blieb Haidhausen durch Bombenangriffe im 2. Weltkrieg relativ verschont.
Der längliche Platz in der Mitte der Wörthstraße besaß ursprünglich keinen Namen, trat also als Platz nie in Erscheinung, sondern nur als Ausbuchtung der Wörthstraße. Jedoch wurde er fälschlich immer wieder als „Wörth-Platz“ bezeichnet, 1976 wurde er Bordeaux-Platz benannt. Tatsächlich sind die Häuser aber nur der Wörthstraße zugeordnet, so dass es keine Adresse „Bordeaux-Platz“ gibt. Nachdem in der Vergangenheit wiederholt seitens der Bevölkerung geäußert wurde, die Namen der Schlachtenorte gegen friedvollere Straßenbezeichnungen einzutauschen. setzte die Landeshauptstadt München eine „Landmarke“, indem sie dem mittleren Teil der Wörthstraße den Namen Bordeaux-Platz gab und damit auf die 1964 begründete Freundschaft beider Städte hinwies mit dem Ziel, das Trauma der drei Kriege, den Nationalismus, Misstrauen und Feindschaft zu überwinden.
Dr. Klaus Wagner
Der Johannisplatz liegt geographisch auf einer Niederterrasse, Teil einer der größten Schotterebenen der Erde, die während der letzten Eiszeit vor ca. 15.000 Jahren durch Schmelzwässer aufgeschüttet und in der Nacheiszeit von der Isar so tief zerschnitten wurde, dass sogar der tertiäre Untergrund, der wasserstauende Flinz angeschnitten wurde.
An der Grenzschicht zwischen Flinz und darüber liegendem Schotter treten am Isarhang die Grundwasserquellen aus, die für die Wasserversorgung der Stadt Jahrhunderte hindurch von größter Bedeutung waren. – Der Boden der Niederterrasse war für die landwirtschaftliche Nutzung nicht besonders geeignet, deshalb entstand hier das im Jahre 808 erstmals erwähnte Dorf „Haidhusir“. Bevorzugt wurden von den vier Bauern Haidhausens die 4 bis 5 m höher liegenden, lehmigen und deshalb sehr fruchtbaren Felder auf der Hochterrasse zwischen der „Flurstraße“ an der einstigen Ostgrenze der Ortschaft und „Berg am Lehm“, das ebenfalls außerhalb der von Ramersdorf bis Ismaning reichenden, fruchtbaren Lehmzunge angelegt wurde.
Dieses wertvolle Ackerland wurde bis gegen Ende des 19. Jahrhunderts von der Besiedlung freigehalten. Man siedelte aus ökonomischen Gründen nur auf der wenig fruchtbaren Niederterrasse. Nur bedeutende Gebäude Haidhausens wurden am Rande der Hochterrasse auf der Anhöhe errichtet, wie zum Beispiel die alte Haidhauser Kirche neben dem Friedhof, das Preysingschloss am Ende der Preysingstraße oder der Zeugnerhof, dessen Eigentümer (Rattenhuber) in der Geschichte Haidhausens immer eine wichtige Rolle spielten.
Die folgende Zeittafel soll einen Überblick über die Ereignisse des einstigen Schlossangers geben, dessen Geschichte im 17. Jahrhundert fassbar wird.
1683 | Gegenüber dem Schlösschen des Freiherrn Pankraz von Leiblfing (in der heutigen Baulücke zwischen dem ehemaligen Feuerwehrhaus und der Kirchenschule) liegt ein ausgedehnter Anger mit 11 Tagwerk (ca. 37.500 qm). Adelige und Münchner Bürger sowie die Haidhauser empfangen feierlich Kurfürst Max Emanuel am Haidhauser Anger, denn er kehrt nach der Befreiung Wiens von den Türken in seine Residenzstadt zurück |
1684 | Das Besitztum des Freiherrn von Leiblfing wird zum Edelsitz und 1 Jahr später zur ungeschlossenen Hofmark erhoben. |
1692 | Haidhausen wird geschlossene Hofmark, in der alle Insassen dem Hofmarksherrn unterstehen. Der Platz wird zum Schlossanger. |
1697 | Das Hofmarkschloss wird an den Hofmeister Paul von Fugger-Kirchberg-Weißenhorn verkauft. |
1729 | Graf Maximilian Cajetan von Törring zu Seefeld erbt Hofmark und Schloss; er war ein treuer Begleiter des Kurfürsten Max Emanuel in seinen Schlachten gegen die Türken. |
1737 | Graf Maximilian schenkt Hofmark samt Schloss und zugehörigem Anger mit 10 ½ Tagwerk an Rosina von Pfitschental, die spätere Freiin von Wippenheim (Beerdigung 1757 in der Alten Haidhauser Kirche). |
1799 | Der Schlossanger wird von Graf Anton Clemens von Törring zu Seefeld an den Metzgermeister Peter Sailer von Haidhausen verkauft, der ihn schon früher gepachtet hatte. Der Schlossanger wird zur „Metzger-Sailer Wiese“ oder kurz zum „Metzger-Anger“. |
1812 | Graf Anton Clemens verkauft auch das Schlossgrundstück mit Garten (nördlich der Kirchenstraße) an Pfarrer Hallmayr von Bogenhausen, der seinerseits beides an die Gemeinde Haidhausen abtritt. Aus dem Schloss wird die „Schloss-Schule“, die erst 1893 abgebrochen wird. – Die Baulücke zwischen der Kirchenschule und dem ehemaligen Feuerwehrhaus am Johannisplatz markiert den Standort des einstigen Hofmarkschlosses. |
1830 |
Der Metzger-Anger geht in den Besitz des Haidhauser Krämers und Tafernwirtes Alois Allwein für 19.600 Gulden über. Die Fläche des Angers beträgt immerhin noch 10 Tagwerk und 95 Dezimal (1 Dezimal = 34,07 qm, 1 Tagwerk = 3407 qm) Im gleichen Jahr genehmigt die Regierung des Isarkreises die Bebauung des östlichen Teils des Angers. |
1830 - 1833 |
Der Metzger-Anger wird zwischen Kirchen- und Jugendstraße und in der Jugendstraße selbst bebaut. |
1835 | Ein genauer Bebauungsplan wird aufgestellt. |
1840 | Der Frauenverein adliger Damen erwirbt zum Zwecke der Errichtung einer Kleinkinderbewahranstalt das Eckgrundstück am (späteren) Johannisplatz zur Jugendstraße hin. Das kleine einstöckige Haus von 1840 wird um 1900 durch einen größeren Neubau ersetzt und später nach der Gemahlin König Ludwigs III. „Maria-Theresia-Anstalt“ benannt. |
1841 - 1842 | Die Jugendstraße, die obere und untere Johannisstraße sowie die Angerstraße (ab 1877 in Walserstraße umbenannt) werden bebaut. Der Metzger-Anger schrumpft weiter zusammen. |
1842 | Der verkleinerte Anger mit 8 Tagwerk 24 Dezimal (ca. 28.100 qm) geht in das Eigentum des Großhändlers Emanuel J. Trost über. Er veräußert weitere Grundstücksparzellen des Angers. |
1849 | Der Schwiegersohn des Emanuel Trost, der Großhändler Lion, verkauft den restlichen Anger an die Gemeinde Haidhausen zur Erbauung der neuen Pfarrkirche am Johannisplatz um 16.000 Gulden. Der Anger umfasst noch 7 Tagwerk 39 Dezimal (ca. 25.200 qm = zwei Drittel der ursprünglichen Fläche). |
1852 | Grundsteinlegung zur neuen Pfarrkirche am Anger |
1856 | Zwei Jahre nach der Eingemeindung Haidhausens nach München erhält der Metzger-Anger die Bezeichnung „St.-Johannis-Platz“. |
1860 - 1900 | Die meisten Häuser am heutigen Johannisplatz entstehen in dieser Zeit in spätklassizistischen Formen oder im Stil der Neurenaissance. |
1873 | Die Regierung von Oberbayern genehmigt den Bau der ersten großen und modernen Schule in Haidhausen neben der alten, viel zu kleinen Schloss-Schule. Architekt ist August von Voit, der auch den Glaspalast im Alten Botanischen Garten geplant hat. Im Herbst 1874 kann der Ostflügel, ein Jahr später der Westflügel bezogen werden. |
1874 | Der Architekt Matthias Berger übergibt dem Pfarrer von Haidhausen, Franz-Xaver Hübler, die Schlüssel zur fertigen Pfarrkirche am Johannisplatz. (Der „Bettler von Haidhausen“, Pfarrer Johann Georg Walser, war bereits 1871 verstorben. Sein Marmorsarg ruht in der Pfarrkirche. |
1874 - 1877 | Dreikönigsdult am Johannisplatz (dann ganz aufgehoben) |
1874 - 1903 | Jakobidult am Johannisplatz (seitdem am Auer Mariahilfplatz) |
1877 | Man beginnt, den Platz mit einer Baumpflanzung und durch Geländeplanierung anzulegen: also eine erste gärtnerische Gestaltung. Die Angerstraße wird in „Walserstsraße“ umbenannt zu Ehren des „Bettlers von Haidhausen“, des Pfarrers Johann Georg Walser, der in 29 Sammelreisen seine Kirche zum Teil zusammenbetteln konnte. – Einweihung der Kirche im August 1879 – also vor genau 125 Jahren! |
1882 | Die Pferdestraßenbahn fährt erstmals über den Johannisplatz auf der Strecke Hoftheater – Maximilianstraße – Johannisplatz – Ostbahnhof |
1893 | Infolge des Abbruchs der Schloss-Schule verliert die Freiwillige Feuerwehr ihren Raum für Löschgeräte. Nach dem Entwurf von Carl Hocheder, wird stattdessen an der Ecke Schloss- und Kirchenstraße 1893/4 ein eigenes, neubarockes Feuerwehrhaus erstellt und mit einem Wannen- und Brausebad, von den Haidhausern liebevoll „Tröpferlbad“ genannt, verbunden. 1 Jahr später wird Hocheder unterhalb des Maximilianeums das kleine Maximilianswerk (1895) zur Gewinnung des elektrischen Stroms für die Überleitung der Münchner Pferdestraßenbahn zum elektrischen Betrieb erbauen. 1896 bis 1901 errichtet Hocheder sein Jugendstil-Volksbad unterhalb des Gasteigs, das zum Vorbild für den Bäderbau in Deutschland, ja sogar in Teilen Europa werden sollte. |
1898 | Es entsteht für die Dulten ein Kiesplatz mit 160 Ahornbäumen. Verschiedene Wege auf dem Johannisplatz, mit Hausteinen und Klinkern belegt, durchqueren die Flächen nördlich und südlich der Kirche. |
1904 | Nach dem Abwandern der Jakobidult in die Au entsteht die erste bedeutende Grünanlage auf dem Johannisplatz durch die Zusammenarbeit von J. Grässel vom Stadtbauamt und J. Heiler. |
Seit über 120 Jahren hat sich der Grundriss des Johannisplatzes nicht mehr verändert, wie die Stadtpläne des 19. und 20. Jahrhunderts zeigen. Wohl aber hat sich das Bild durch den 2. Weltkrieg und durch die Neubauten der Nachkriegszeit sowie durch die Purifizierung des neugotischen Gotteshauses am Johannisplatz nicht immer zum Vorteil gewandelt.
Aug. 2004 – J. Baier
Dieses Herbergengebiet erstreckte sich wie ein Straßendorf längs der Straße nach Wien von der „Kreppe“ neben dem Wiener Platz über die „Grube“ und die Häuser „An der Schwaige“, dann entlang der „Äußeren Wienerstraße“ (heute Einsteinstraße) bis zum „Kuglerberg“ am Ostrand Haidhausens, wo die Ackerflur auf den Lehmfeldern begann. Die „Schwaig“ umzog den Dorfkern mit den vier Bauernhöfen nahe der alten Haidhauser Kirche wie einen Halbkreis, der von ihm ursprünglich durch Acker-, Wiesen- und Gartenland getrennt war. Bis zum Ende des 18. Jahrhunderts wurde in den Registern, Personenverzeichnissen und Protokollen der Hofmark Haidhausen streng zwischen dem „Dorf“ und der „Schwaig“ unterschieden, wobei die Häuserzeile „An der Schwaige“ nur ein kleiner Teil des gesamten Herbergengebietes „Schwaig“ war. – Ein Plan in dem 1858 erschienenen, sehr detaillierten Stadtatlas von Gustav Wenng zeigt auf einem großformatigen Doppelblatt die Gesamtsituation Haidhausens, jedes einzelne Anwesen mit der Hausnummer, den einstigen Straßenverlauf, die Burgfriedensgrenze zwischen der bis 1854 selbständigen Gemeinde und dem seit Jahrhunderten städtischen Gasteig sowie die unbebaute Flur im Osten und Südosten Haidhausens, das schon über 1000 Jahre früher – im Jahre 808 – in einer Freisinger Urkunde als „Haidhusir“ Erwähnung findet.
In dem Herbergengebiet „Schwaig“ wohnte vornehmlich die ärmere Bevölkerung. Für sie waren ihre Wohnstätten, die sog. „Herbergen“ typisch. Es waren dies kleine, einfache, eng aneinander grenzende, teilweise recht eigenwillige Häuschen, in denen unter einem Dach bis zu 10 Familien wohnten. Der von ihnen bewohnte Raum, das „Gemach“ war im Eigentum der jeweiligen Familie (rechtlich vergleichbar mit der heutigen Eigentumswohnung). Zumeist hatte jedes Gemach bzw. Herberge einen eigenen Eingang. Jeder Eigentümer gestaltete den ihm gehörenden Teil des Hauses nach seinem Geschmack, seinen Verhältnissen und seiner Leistungsfähigkeit so aus, wie es ihm gefiel, und so konnte man oftmals schon von außen erkennen, wie viele Gemächer in einem Hauswaren. Das verlieh dem Herbergsanwesen ein oft malerisches Aussehen. Den hygienischen Erfordernissen entsprachen sie jedoch meist in keiner Weise. Zumeist bestanden die Häuser im Erdgeschoss aus einem Steinsockel, darüber aus Holz. Die Pumpbrunnen waren außerhalb des Hauses. Die sanitären Anlagen waren ein Übel. Deshalb galten die Herbergsviertel in Seuchenzeiten als Brutstätten von Krankheiten.
Auch im „Dorf“ fanden sich solche Wohnbauten primitivster Art, im Kriechbaumhof, bestehend aus vier Herbergsanwesen, im Grafenwinkel, in der Wolfgang- und Leonhardstraße gleich unterhalb des einstigen Preysingschlosses, das an einer markanten Hangkante liegt. Im Lagerbuch der Hofmark Haidhausen von 1792 sind im „Dorf“ 92, in der „Schwaig“ 95 Häuser, also insgesamt 187 Häuser mit knapp 400 Familien verzeichnet. Die meisten von Ihnen sind – wie sich zeigen wird – Herbergsanwesen mit 2 bis 10 Herbergen, die alle in der Regel einen anderen „Besitzer“ hatten.
Eine „Kreppe“ ist ein vom Wasser ausgespülter Graben, ein Hohlweg, der befahrbar ist. Die Haidhauser „Kreppe“ ist eine Quellmulde, in der Grundwasser an der Oberfläche austritt und ein kleines Tälchen geschaffen hat, das sich im Brunntal (nördlich des Maximilianeums) fortsetzt und beim Achtersee (unterhalb des Friedensengels) in die Isar mündete. Seit etwa 1857 wird der Bach wegen der Anlage der Äußeren Maximilianstraße (heute Max-Planck-Straße) streckenweise unterirdisch geführt. Seit der Anlage der Prinzregentenstraße und der Luitpoldbrücke ab 1891 und dem Bau des Maximilianswerks im Jahre 1895 (durch Carl Hocheder, den Architekten des Müllerschen Volksbades) mündet der der bei der Kreppe entspringende Quellbach nahe dem Elektrizitätwerk, wo auch der fast 7 km lange Auer Mühlbach der Isar wieder zugeführt wird.
In diesem aufgeweiteten Wassergraben mit dem „öden Grund“ durften die Tagelöhner in drangvoller Enge ihre schlichten Herbergsanwesen errichten. In einem Verzeichnis der Haus- und Herbergenbesitzer von 1861 sind 12 Anwesen für die Kreppe verzeichnet, von denen 8 zwischen zwei und 6 Herbergen aufwiesen:
5 mit je 2 Herbergen
1 mit 3 Herbergen
1 mit 4 Herbergen
1 mit 6 Herbergen (im Durchschnitt 2,87.. Herbergen pro Herbergsanwesen)
Diese 15 Herbergen waren 1861 im Eigentum von 12 Tagelöhnern, einem Steinhauergesellen, einem Wegmacher und einem Ziegelmeister. – Die übrigen 4 Anwesen gehörten jeweils einem Eigentümer, nämlich einem Tagelöhner, einem Steinschleiferssohn, einem bürgerlichen Maler und einer Näherin.
Drei Herbergsanwesen aus dem Ende des 18. Jahrhunderts und ein Pumpbrunnen sind heute noch in der etwas versteckt liegenden Kreppe zu entdecken, drei weitere am Ausgang der Kreppe auf der Nordseite des Wiener Platzes, der an der einstigen Grenze zwischen der bis 1854 selbständigen Gemeinde Haidhausen und dem städtischen Gasteig liegt. Hier endete deshalb die „Wiener Straße“, die sich aber in der „Äußeren Wiener Straße“ über den heutigen Max-Weber-Platz nach Osten fortsetzte. (Heute verläuft die „Innere Wiener Straße“ bis zum „Haidhauser Stachus“, wo sie als Einsteinstraße weiter nach Osten führt.)
Das zweite Teilgebiet des Herbergenviertels an der alten Salzstraße ist die „Grube“. Darunter verstand man eine Ansiedlung, die schon sehr früh auf einem „öden Grund“ (Ödland) in einer aufgelassenen, großen Kiesgrube in der Nordostecke des heutigen Max-Weber-Platzes zwischen Ismaninger Straße und Einsteinstraße angelegt wurde. Noch um 1900 bot sie mit ihren kleinen, bunten, regellosen und willkürlich ausgestalteten Häuschen einen malerischen und idyllischen Anblick, der Maler und Fotografen in seinen Bann zog.
Im Verzeichnis der Haus- und Herbergenbesitzer vom April 1861 sind für die Grube 48 Häuser ausgewiesen, davon 37 als Herbergsanwesen mit zusammen 140 Herbergen (im Durchschnitt 3,78 Gemächer pro Herbergsanwesen). Diese Herbergen als Teil eines Hauses waren im Eigentum von 86 Tagelöhnern, 15 Maurern, 17 Zimmerleuten, 1 Ziegelarbeiter. Weitere Berufe waren z. B. Hadernsammler, Heubinder, Bäckerschießer, Schrannenarbeiter. Die Zahl der Herbergen der 37 Herbergsanwesen stellt sich im Detail folgendermaßen dar:
8 mit je 2 Herbergen
10 mit je 3 Herbergen
11 mit je 4 Herbergen
2 mit je 5 Herbergen
4 mit je 6 Herbergen
1 mit 7 Herbergen
1 mit 9 Herbergen (siehe unten)
Im Durchschnitt waren dies also 3,78 Gemächer pro Herbergenhaus in der einstigen Kiesgrube an der Salzstraße, die ja im Laufe der Jahrhunderte immer wieder befestigt werden musste. – Die übrigen 11 Anwesen in der „Grube“ am heutigen Max-Weber-Platz gehörten ungeteilt je einem Tuchscherermeister, einem Schäfer, einem Werkzeugmacher, einem Zimmermann, einem Hafnermeister, einer Musikerswitwe und sogar fünf Tagelöhnern.
Eine gute Vorstellung von dieser Situation bekommt man in der Preysingstraße bei der Einmündung der Wolfgangstraße, wo in der heute noch existierenden, vergleichsweise winzigen Grube zwei gepflegte Häuser (um 1800) mit Gärtchen deutlich unter dem üblichen Niveau Platz gefunden haben. Dieses Herbergenviertel im Umkreis der ehemaligen Kiesgrube ist zu einem sehenswerten Idyll geworden, das einen Besuch wirklich lohnt.
Aus Gründen der Hygiene und wegen Baufälligkeit verschwanden von den 48 näher beschriebenen Häusern innerhalb von knapp 80 Jahren bis 1939 nicht weniger als 40 Anwesen. – Bomben während des 2. Weltkrieges und die Errichtung des Südbaus der chirurgischen Klinik gaben den letzten Herbergenhäusern den Rest. Die einstige Kiesgrube wurde aufgefüllt und ein Krankenhausgarten angelegt. – Auch die etwa 12 Herbergsanwesen (1861) unmittelbar am Südrand der Grube an der „Äußeren Wiener Straße“ verschwanden zur gleichen Zeit, ebenso die Anwesen auf der Nordseite der Grube an der „Oberen Feldstraße“, die einfach überbaut wurde. Heute stehen an der Stelle der alten „Grube“ die Hörsaalbauten und die Mensa der Klinikums rechts der Isar.
Ein ähnliches Schicksal erfuhr ein drittes Teilgebiet der großen „Schwaig“ an der Salzstraße, nämlich die Herbergsanwesen „An der Schwaige“, die sich im Osten an die Grube anschlossen. Dieser Straßenzug, die ehemalige „Farbmachergasse“ (bis 1856), verlief nur eine Häuserbreite parallel zur Äußeren Wiener Straße (heute Einsteinstraße) bis zur Trogerstraße. Die 13 Häuser standen alle auf der Nordseite der „Schwaige“, während die 10 Anwesen auf der Südseite mit ihren Hausnummern schon zur Äußeren Wiener Straße gezählt wurden.
Diese beiden Häuserreihen waren in der Bausubstanz etwas besser als die in der Grube. – Von den 13 Häusern „An der Schwaige“ waren 3 im Einzeleigentum je eines Tagelöhners, eines Schindelschneiders und eines Milchmannes. Die übrigen 10 Häuser waren in 40 Herbergen unterteilt, die z. B. 23 Tagelöhnern, 5 Maurern, 4 Zimmerleuten, einem Ziegelarbeiter, einer Melberhelferswitwe und einem Heubinder gehörten.
Von den 10 Häusern auf der Südseite der einstigen Farbmachergasse (seit 1856 „An der Schweige“), gleichzeitig an der Nordseite der Äußeren Wiener Straße gelegen, sind nur drei im Einzeleigentum einer Milchmannswitwe, eines Krämers und eines Hucklers. 7 Herbergsanwesen sind in 31 Gemächer unterteilt. Sie waren 1861 im „Besitz“ von 15 Tagelöhnern, 2 Maurern, 2 Zimmerleuten, 1 Uhrmachermeister, 1 Hebamme, 1 Krämer, 2 Hadernsammlern (= Lumpen-sammler), 1 Getreidehändler, dem Glasermeister Peter Reiner (dessen Nachkommen noch heute in der Haidhauser Steinstraße eine Glaserei betreiben), 1 Branntweiner (mit 3 Herbergen), 1 Schneidermeister und ein Hutmacher. – Insgesamt bestanden die beiden Häuserzeilen im Jahre 1861 aus 23 Häusern, von denen 17 Herbergsanwesen in 71 Gemächer unterteilt waren (im Durch-schnitt also ca. 4,17 Herbergen pro Anwesen).
Auffallend ist, dass in allen Herbergsvierteln etwa zwei Drittel der Herbergseigentümer Tagelöhner, Maurer und Zimmerleute waren. Erstaunlicherweise wurde nur selten der Beruf des Ziegelarbeiters oder Ziegelmeisters genannt. Dies hängt wohl damit zusammen, dass italienische Gastarbeiter im Sommer in großer Zahl nach Haidhausen kamen, um auf den Lehmfeldern in den Ziegeleien zwischen Ramersdorf, Berg-am-Laim, Haidhausen und Bogenhausen 14 Stunden und mehr am Tag zu arbeiten und in primitiven Unterkünften, meist in den Ziegelstadeln, mehr zu hausen als zu wohnen.
Was die Bomben von den insgesamt 23 Häusern zu beiden Seiten der Gasse „ An der Schwaige“ übriggelassen hatten, verschwand 1962 völlig, denn das Gebiet wurde – wie die Grube – dem Areal des Klinikums einverleibt. Nichts mehr erinnert hier an diese beiden einstigen Herbergsviertel an der ehemaligen Salzstraße von Berchtesgaden und Reichenhall nach München und Memmingen zum Bodensee und der Ausfallstraße nach Wien.
Das vierte Herbergengebiet, das zur „Schwaig“ (im weiteren Sinne) entlang der alten Salzstraße bzw. der Straße nach Wien gehörte, ist der „Kuglerberg“, dessen Bezeichnung 1856 amtlich wurde, als nämlich Haidhausen zwei Jahre nach der Eingemeindung seine offiziellen Straßennamen erhielt. Die 9 Häuser liegen bereits auf der Anhöhe, d. h. geographisch auf einer mit Lößlehm bedeckten Hochterrasse etwa 4 bis 5 m über dem Niveau der Niederterrasse, auf der die drei anderen kleinen Herbergenviertel, die „Kreppe“, die „Grube“ und die „Schwaige“, aber auch der Dorfkern um die alte Haidhauser Kirche zu finden sind. Zu den 9 Häusern zählten nur 2 Herbergsanwesen mit 9 Gemächern, die 7 Tagelöhnern, einem Zimmermann und einem Viehhändler gehörten. Die rest-lichen 7 Häuser waren im Einzeleigentum von 6 Tagelöhnern und 1 Fuhrmann.
Die Verbindung von der kleinen „Schwaige“ hinauf zum Kuglerberg stellte eine Häuserzeile her, die noch auf der lehmfreien Niederterrasse an der Äußeren Wiener Straße (Teil der Salzstraße) zwischen der heutigen Trogerstraße und dem Geländeanstieg zum eigentlichen Kuglerberg gelegen war. Es handelt sich um weitere 27 Häuser, von denen sich 10 im Einzeleigentum eines Maurers, eines Schweinehändlers, eines Pferdemetzgers, eines Ökonomen, der gleich-zeitig Branntweiner ist, eines Maurermeisters, Gärtners, zweier Tagelöhner, einer Viehhändlersfrau sowie der Stadt München befinden, der seit 1854 das Leichenhaus beim Haidhauser Friedhof gehört. Der Gottesacker liegt bereits auf der Hochterrasse, einer hochgelegenen Schotterfläche, die mit 2 m Lößlehm bedeckt ist. Diese Lehmfelder, die von hier bis hinüber nach „Berg am Lehm“ reichen, lieferten den Rohstoff für die Ziegeleien, die den Bedarf der Residenzstadt für Jahrhunderte zu decken vermochten.
Die restlichen 17 Häuser an der Äußeren Wiener Straße, die dann zum Kuglerberg hinaufführt, sind Herbergsanwesen mit 64 Gemächern. Sie gehörten – wie aus dem Haus- und Herbergenverzeichnis von 1861 hervorgeht – nicht weniger als 33 Tagelöhnern, 5 Maurern, 4 Zimmerleuten. Sie machten 1861 mehr als zwei Drittel der „Herbergenbesitzer“ aus. Der Rest der Herbergen gehörte einem Ziegelbrenner und einem Ziegelarbeiter, ferner 2 Schneidergesellen, 2 Vieh-händlern, 1 Brunnmacher, 1 Obsthändler, 1 Sägfeilerswitwe, 1 Schindelschneider, 1 Schmiedswitwe, 1 Hafenbinder, 1 Steinschleifer, 1 Näherin, einem Schuhflicker, 1 Schmiedgesellen, 1 Schrannenknecht, 2 Schweinehändlern, 1 Straßenarbeiter und einer Hadernsammlerswitwe sowie einer Erbengemeinschaft. – Im Durchschnitt hatten die 19 Herbergsanwesen um den Kuglerberg im Jahre 1861 rund 3,84 Herbergen.
Die Zahl der Herbergen in den einzelnen Teilgebieten der „Schwaig“ an der alten Salzstraße schwankte 1861 zwischen zwei und zehn pro Anwesen. Das Haus „In der Grube“ Nr. 2 zum Beispiel war in 9 Herbergen unterteilt; sie gehörten 3 Tagelöhnern, 2 Maurern, 2 Zimmerleuten, 1 Getreidehändler und einem Webermeister. – Das Herbergsanwesen an der Äußeren Wiener Straße Nr. 17 gegenüber der Häuserzeile „An der Schwaige“ besaß 10 Herbergen (heute würde man „Eigentumswohnung“ sagen). Sie waren im Eigentum von 5 Tagelöhnern, 1 Krämer, 2 Hadernsammlern, 1 Zimmergesellen und 1 Getreidehändler.
„Auf den Lüften“, dem heutigen Rosenheimer Platz, gab es sogar eine „Herberge“ (gebräuchliche Kurzfassung für ein Herbergsanwesen) mit nicht weniger als 11 Gemächern, die 6 Tagelöhnern, 1 Hausknecht, 1 Zimmermann, 1 Ziegelarbeiter, 1 Obstler und 1 Krämerswitwe gehörten.
Dieses gesamte soeben beschriebene Herbergenviertel, das bis etwa 1800 als „Schwaig“ bezeichnet wurde, ist bis auf einige Herbergen an der Kreppe und ein einziges Haus am Kuglerberg fast völlig verschwunden. Nach dem Kriege fielen die spärlichen Reste, die nicht durch Bomben zerstört oder der maroden Bausubstanz wegen abgebrochen worden waren, der Erweiterung des Klinikums rechts der Isar und der Verbreiterung der Einsteinstraße, aber auch dem ökonomischen Druck des wertvoll gewordenen Baugrundes und damit mancher Spekulation zum Opfer.
Insgesamt sind im Häuser- und Herbergen-Verzeichnis von 1861 für die gesamte Vorstadt Haidhausen (ohne den schon seit Jahrhunderten städtischen Gasteig) 491 Häuser aufgeführt. Darunter 164 Häuser mit 615 Herbergen, im Durchschnitt also 3,75 Herbergen pro Herbergsanwesen, zu deren Erwerb die Pfarrei St. Johann Baptist über Jahrhunderte bis in den 2. Weltkrieg als Kredit-geber fungierte. Das Kapital stammte zum allergrößten Teil aus über 200 Jahrtagsstiftungen, die nachweislich seit dem 16. Jahrhundert zugunsten der Kirchen in Haidhausen (einschließlich der Wolfgangskapelle an der gleichnamigen Straße) und zum Seelenheil der Stifter von der Hofmarksherrschaft und Handwerksmeistern bis hin zu Tagelöhnern erbracht worden waren.
Glücklicherweise haben sich noch einige „Herbergen“ auch am Rande des ehemaligen „Dorfes“ erhalten, die zumeist zwischen 1790 und 1845 während einer Zeit der vermehrten Bautätigkeit an der Preysing-, Wolfgang-, Milch- und Stein-straße in den damaligen Neubauvierteln errichtet worden sind, wenn man einmal von dem an anderer Stelle wieder erstandenen Kriechbaumhof – wohl aus dem Ende des 17. Jahrhundert – absieht. Es lohnt sich also bei einem Bummel dem alten Haidhausen nachzuspüren und man wird manche reizvolle Ecke entdecken, die man in einem Innenstadtrandgebiet nie erwartet hätte.
Aug. 2004 – J. Baier